Leben im besetzten Westjordanland
Morgens wieder über den Checkpoint. Zu meiner Zeit ist dort eigentlich nicht so viel los, man kann direkt durch zur Sicherheitskontrolle. Aber diesmal hatte sich eine Schlange gebildet. Es verbirgt sich eine ganz besondere Geduld in dem ruhigen und gelassenen Abwarten der Männer und Frauen, wie sie sich in den dicht an dicht drängen. Anders als im Bus gibt es kein Gerangel, Frauen werden vorgelassen.
Danach ging es dann zur Passkontrolle – bzw. für die meisten zur Kontrolle des Permits. Ein Polizist steht neben einem Glaskasten, in dem eine Soldatin sitzt, und gibt die Zahlen auf den Papieren durch. Die Palästinenserinnen und Palästinenser verhalten sich demütiger, sie wollen auf jeden Fall passieren können. Und durchaus wirkt der Polizist zuvorkommend: Er spricht arabisch und fragt einzelne Bekannte, wie es ihnen geht. Irgendwie macht er auf mich einen freundlichen Eindruck. Und gerade das stimmt mich nachdenklich, wie ich da so in dem bekanntesten israelischen Militärcheckpoint stehe.
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Gestern saß ich nach langem Warten im Bus von Jerusalem nach Bethlehem.
Dicht gedrängt lassen sich die Palästinenser auf die zerfledderten Sitze sinken – sie haben einen langen Arbeitstag hinter sich. So auch Majid, der neben mir Platz nimmt. Er arbeitet als Konstrukteur bei Jerusalem, aber wohnt eigentlich in Hebron. Jeden Morgen verlässt er um fünf das Haus, um mit dem Bus nach Bethlehem zu fahren und dann weiter zum eigentlichen Ziel. Mindestens 2,5 Stunden ist er da unterwegs. Doch das mache ihm nichts, sagt er. Hier habe er einen guten Job. Auf den ist er besonders stolz, denn er zeigt mir reihenweise Bilder von Häuser, an deren Konstruktion er beteiligt war. Etwas trostlos wirkt der immer gleiche, blanke Sandstein auf mich, wie er da in der Landschaft herumsteht. Doch die Pracht der ausgefallenen Häuser ist beeindruckend. Ach und wo er gerade schon dabei ist, zeigt mir Majid auch Urlaubsbilder von sich. Für seine 57 Jahre sieht er ganz schön geschafft aus. Kein Wunder bei 6 Kindern und mittlerweile über 30 Enkelkindern. Das erste Mal Vater wurde er wohl mit 16. Kaum vorstellbar für mich, der ich mit 20 Jahren noch längst nicht an Familienplanung denke. Nun hält er mir ein Bild seines eigenen Hauses unter die Nase. Im Hintergrund verweist er auf die israelische Siedlung in seiner Heimatstadt Hebron. Probleme gebe es sicherlich mit den Siedlern, aber nicht so viele wie manch andere behaupten würden. Betont wichtig kommt er auf seine Religion zu sprechen - den Islam. Er zeigt mir Bilder von sich vor einer bedeutsamen Höhle in Amman. Er selber mache aber keinen Unterschied zwischen Menschen nur aufgrund ihres Glaubens. Als ich dann erwähne, dass ich für die katholische Kirche arbeite, wird er dennoch ganz ruhig. Vermutlich hat es ihm gutgetan, etwas von sich zu erzählen, Bilder zu zeigen. Sein Englisch war außerdem erstaunlich gut. Von mir selbst wollte er nicht viel wissen und ich selber war – eingequetscht mit meinem Wanderrucksack – auch nicht sonderlich in mitteilsamer Laune. Der Platz vor der Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt ist ungewöhnlich hell. Durch den Sandstein wird die Sonne quasi direkt zurückgeworfen, was einen klaren Blick auf die Umgebung erlaubt. Als ich nun vor dem Eingang zur Klagemauer stand, war ich mir unsicher, ob ich als nicht-Jude und einfacher Tourist überhaupt Zutritt habe. Medial ist dieser Ort nämlich sehr aufgeladen: Bilder von US-Präsidenten oder anderen Politikerinnen und Politikern, die andächtig und demütig die Mauer berühren, sind weltbekannt. Ebenso jene von schwungvoll betenden Juden in ihren Gewändern. Nun wagte ich mich also doch vor, weil sich auch niemand richtig für mich zu interessieren schien. Mit einer Kippa der Western Wall Foundation auf dem Kopf näherte ich mich der Klagemauer, diesem so bedeutsamen religiösen Ort. Als meine rechte Hand den warmen Stein der Mauer berührte, hielt ich für einen Moment inne und schloss die Augen.
Der Weg zum AEI führt mich morgens an der Mauer im nördlichen Bethlehem entlang. Viele Künstlerinnen und Künstler – unter ihnen auch der berühmte Banksy – haben sich mit Karikaturen und anderen Graffitis dort verewigt. Jedes Mal beobachte ich, wie große Reisebusse aus Israel dort halten und Touristen aus der ganzen Welt aussteigen. Eifrig werden viele Fotos gemacht, während der Guide die Szenerie mit Informationen unterfüttert. Wenn kein Stopp bei einem Restaurant eingeplant ist, geht es dann nach wenigen Minuten weiter – entweder zur Geburtskirche oder wieder zurück nach Israel.
Um von Bethlehem im Westjordanland nach Jerusalem zu gelangen, muss man einen Checkpoint der israelischen Armee passieren. Lange, videoüberwachte Gänge und Drehkreuze weisen einem den Weg zur Sicherheitskontrolle. Stück für Stück muss jede Person durch einen Metalldetektor laufen und die persönlichen Gegenstände durchleuchten lassen. Unter Aufsicht von in einem Glaskasten sitzenden Soldatinnen und Soldaten.
Nun ging ich letzten Montag anschließend in Richtung einer Schleuse, bei der die Palästinenserinnen und Palästinenser ihre Erlaubnis scannen, um passieren zu können. Da ich jedoch ein Visum besitze, begab ich mich zu einem Soldaten in einem Glaskasten und zeigte ihm dieses vor. Er fragte direkt: „Wo kommst du her?“. Das einigermaßen offensichtliche aussprechend, sagte ich ihm, dass ich aus Deutschland sei. Nachdem sich die Schleuse für mich öffnete, rief er mir noch hinterher: „Einen Moment!“ und kam aus seinem Kasten heraus. Ich blieb stehen, unschlüssig, was der Soldat von mir verlangen könnte und musterte vorsichtig den vor mir postierten Polizisten mit Maschinenpistole. „Weihenstephaner ist das beste Bier, sehr sehr lecker“, tat der Soldat witzelnd kund. In einer Mischung aus Erleichterung und Verwirrung fachsimpelte ich anschließend noch etwas mit ihm über deutsches Bier… Nach einer langen Vorbereitungsphase mit einigen Seminaren und Konferenzen werde ich am 02.09. nach Tel Aviv fliegen. Als letzte Formalie habe ich am Samstag das Visum von der israelischen Botschaft erhalten. Daher freue ich mich, ab nächster Woche Freitag bei Roger und seiner Familie in Bethlehem wohnen zu können. Er ist Mitarbeiter beim AEI und für mich ein erster persönlicher Kontakt in der West Bank. Da ich ihn bereits etwas kenne, blicke ich der Ankunft gelassen entgegen.
Wenn die Einreise über den Ben Gurion International Airport gut klappt, kann ich mit einen sogenannten sherut als Sammeltaxi nach Jerusalem und von dort aus ins nahegelegene Bethlehem fahren. Über diese spannende Reise werde ich in der kommenden Woche berichten. Bereits zwei wichtige Treffen haben stattgefunden, die den Friedensdienst in Palästina immer näher rücken lassen:
Das erste Seminar mit anderen Freiwilligen fand vom 11.02.-13.02.22 in Wegberg an der niederländischen Grenze statt. Unter Leitung des Sozialen Diensts für Frieden und Versöhnung im Bistum Aachen (SDFV) haben wir wichtige Informationen für unseren Friedensdienst erhalten und über unsere Einsatzländer und die neuen Herausforderungen ausgetauscht. Die 18 Freiwilligen werden ab diesen Sommer für ein Jahr in Ecuador, Kolumbien, Sambia, Indien oder auch im Kosovo sein und sich dort für Frieden und Versöhnung einsetzen. Wir alle haben gemerkt, dass eine spannende Zeit auf uns wartet! Außerdem fand am Montag, dem 14.03.22, ein erstes Online-Meeting mit meinen zukünftigen Arbeitgebern beim Arab Educational Institute (AEI) statt. Wie sich herausstellte, passen unsere Ideen und Vorhaben perfekt zusammen, sodass wir nun in den kommenden Meetings die Aufgaben für meinen zukünftigen Friedensdienst konkretisieren können. Der persönliche Kontakt mit den Mitarbeitern des AEI hat mich positiv darin bestärkt, dass in diesem Jahr vieles möglich sein wird und meine Vorfreude auf das Leben in Palästina geweckt. |
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May 2023
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