Leben im besetzten Westjordanland
Abends in Tiberias am See Genezareth.
Wir ruhen uns auf einer Promenade aus bei Mondschein, direkt am Wasser, dass in sanft periodischen Bewegungen sein Kommen und Gehen abwechselt. Der Tag war für uns beide lang und daher etwas ermüdend; trotzdem möchten wir das Öffnen der Kneipen nach dem Shabbat abwarten und harren so in der langsam wieder erwachenden Stadt aus. Ein Mann schlendert vor uns entlang, lauscht dem Gespräch zwischen dem kanadischen Freiwilligen und mir und stellt sich dann vor. Schnell kommen wir ins Gespräch. Er ruft seine Mitreisenden aus North Carolina herbei, während er bereits auf dem Handy die vielen aufgenommenen Bilder der Reise sichtet, um sie uns anschließend stolz einzeln zu präsentieren. Die fünf christlichen Pilger erzählen von ihren bisherigen Ausflugszielen, die jüngsten davon natürlich am wirkträchtigen See Genezareth. Sie erwähnen viele Orte, von denen ich noch nie etwas gehört habe und Personen, deren Namen mir schon mal begegnet seien könnten. Meine fehlende Bibelbildung bereue ich in solchen Momenten immer für einige Augenblicke. Trotz ihrer wenigen Tage im Heiligen Land, haben sie gefühlt bereits mehr gesehen als ich in meinen sechs Monaten. Zumindest im religiösen Kontext. Zu unserer Freude verbrachten sie die ersten Tage am logischen Beginn einer solchen Reise, in Bethlehem. Von der Geburtskirche schwärmen sie noch immer und berichten, sogar bei einer palästinensischen Familie zum Abendessen gewesen zu sein. Mein kanadischer Freund klinkt sich beim Stichwort direkt ein und berichtet von seinen Erfahrungen mit und der Sympathie zu den leitgeplagten Menschen, die er bisher kennenlernen durfte. Wir unterhalten uns über die fehlende Staatlichkeit, Probleme mit der Müllverschmutzung und neuerlichen clashes am Checkpoint. Auch die Amerikaner bemängeln, medial eine zu einseitige Sicht der Dinge vermittelt bekommen zu haben. Sie sind froh, nun einen klareren Blick zu haben und das erfreut auch Jeremiah, meinen kanadischen Freund. Nur ich bin nicht so richtig zufrieden. In mir ringt es um die Frage, was man diesen Kurzzeit-Touristen mitgeben kann - ich suche nach Aussagen, die irgendwie beide Seiten beleuchten und der Realität gerecht werden, aber dennoch auch einen Fokus auf die Palästinenser setzen können. Zumindest traue ich den Pilgern nicht zu, in diesen wenigen Tagen einen ernsthaften Einblick in die Situation der Menschen in Bethlehem bekommen zu haben. Zu oft sehe ich die Touristen in ihren Busses auf mich und die Araber hinabschauen und frage mich, was in ihren Köpfen vorgeht. Vielleicht bemitleiden sie die Bethlehemer, die mit einer Mauer leben müssen. Dabei schwingt jedoch häufig eine herabschauende Art mit einher - verkörpert durch die Bus-Metapher. Mir würde es vermutlich auch so gehen, wenn ich in Schocktherapie die Stadt bereisen würde und jeglichen Eindruck nur von außen wahrnehmen würde, ohne echtes Gespräch mit den Menschen und Kenntnisse über sie. Doch Jeremiah teilt meine Skepsis nicht. Er findet jeden noch so kleinen Schritt lobenswert, einen Hauch der Realität zu Gesicht zu bekommen. Das sagen mir auch viele Palästinenser. Vermutlich haben sie Recht. Zum krönenden Abschluss beten wir noch zusammen. Mit geschlossnen Augen und an den Händen gefasst, drücken die Amerikaner ihre Dankbarkeit aus und bitten um Frieden und Gerechtigkeit. Und auch ich bin dankbar für dieses Gespräch.
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May 2023
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