Leben im besetzten Westjordanland
In Israel vollzieht sich eine besorgniserregende politische Entwicklung: Die neue Regierung plant eine Justizreform, durch welche unter anderem die Knesset Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes überstimmen kann. Die Vorhaben würden den Rechtsstaats in entscheidender Weise schwächen und werden wie so häufig populistisch begründet, dass lediglich die Regierung einer demokratischen Legitimation unterstehe, das Gericht hingegen nicht. Die Mixtur aus rechtsradikalen Politikern und deren privaten Gerichtsprozessen ist gefährlich und mutet insgesamt nach Vorgängen in einer Bananenrepublik an.
Aus Besorgnis um den Zustand ihrer Demokratie gehen daher immer mehr Israelis auf die Straße. Eine dieser Demonstrationen habe ich am Wochenende in Haifa spontan begleitet. Viele Aufschriften, die die geplanten Reformen als "Diktatur" brandmarken, waren neben Plakaten mit "Israel is being killed" und "Biblical disaster" zu lesen, eine Anspielung sowohl auf Netanyahu als auch auf die heilige Schrift. Den Menschen merkte man an, dass sie es nicht gewohnt sind, für ihre Anliegen auf die Straße zu gehen. Sie rechnen sich der schweigenden Mehrheit im Land zu und drücken ihren Patriotismus durch ein Meer an Israel-Fahnen aus. Über diese hinweg hallen die Meinungen und Parolen verschiedener Sprecherinnen und Sprecher in dem mir unverständlichen Hebräisch, was durch einzelne (religiöse) Lieder komplettiert wird. Das spiegelt auch die Stimmung wider, die eine ungewöhnliche Mischung aus Ausgelassenheit ("Demokratie, Demokratie, Demokratie!") und ernsthafter Sorge ist. Diese steht den größtenteils älteren Demonstranten ins Gesicht geschrieben. Sie passt auch zu der Dramatik der bereits geschilderten Plakataufschriften. Zusammenfassend sind die zentralen Forderungen meiner Gesprächspartnerinnen und -partner: Die Justizreform muss verhindert werden und die jetzige Regierung gehen. Zu diesem Zweck verabredet man sich anschließend für nächste Woche ein weiteres Mal.
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Fuad Giacaman, Co-Präsident des AEI, analysiert die politische Lage in Israel/Palästina und folgert daraus seine Vision für ein friedliches Zusammenleben
Morgens wieder über den Checkpoint. Zu meiner Zeit ist dort eigentlich nicht so viel los, man kann direkt durch zur Sicherheitskontrolle. Aber diesmal hatte sich eine Schlange gebildet. Es verbirgt sich eine ganz besondere Geduld in dem ruhigen und gelassenen Abwarten der Männer und Frauen, wie sie sich in den dicht an dicht drängen. Anders als im Bus gibt es kein Gerangel, Frauen werden vorgelassen.
Danach ging es dann zur Passkontrolle – bzw. für die meisten zur Kontrolle des Permits. Ein Polizist steht neben einem Glaskasten, in dem eine Soldatin sitzt, und gibt die Zahlen auf den Papieren durch. Die Palästinenserinnen und Palästinenser verhalten sich demütiger, sie wollen auf jeden Fall passieren können. Und durchaus wirkt der Polizist zuvorkommend: Er spricht arabisch und fragt einzelne Bekannte, wie es ihnen geht. Irgendwie macht er auf mich einen freundlichen Eindruck. Und gerade das stimmt mich nachdenklich, wie ich da so in dem bekanntesten israelischen Militärcheckpoint stehe. Gestern saß ich nach langem Warten im Bus von Jerusalem nach Bethlehem.
Dicht gedrängt lassen sich die Palästinenser auf die zerfledderten Sitze sinken – sie haben einen langen Arbeitstag hinter sich. So auch Majid, der neben mir Platz nimmt. Er arbeitet als Konstrukteur bei Jerusalem, aber wohnt eigentlich in Hebron. Jeden Morgen verlässt er um fünf das Haus, um mit dem Bus nach Bethlehem zu fahren und dann weiter zum eigentlichen Ziel. Mindestens 2,5 Stunden ist er da unterwegs. Doch das mache ihm nichts, sagt er. Hier habe er einen guten Job. Auf den ist er besonders stolz, denn er zeigt mir reihenweise Bilder von Häuser, an deren Konstruktion er beteiligt war. Etwas trostlos wirkt der immer gleiche, blanke Sandstein auf mich, wie er da in der Landschaft herumsteht. Doch die Pracht der ausgefallenen Häuser ist beeindruckend. Ach und wo er gerade schon dabei ist, zeigt mir Majid auch Urlaubsbilder von sich. Für seine 57 Jahre sieht er ganz schön geschafft aus. Kein Wunder bei 6 Kindern und mittlerweile über 30 Enkelkindern. Das erste Mal Vater wurde er wohl mit 16. Kaum vorstellbar für mich, der ich mit 20 Jahren noch längst nicht an Familienplanung denke. Nun hält er mir ein Bild seines eigenen Hauses unter die Nase. Im Hintergrund verweist er auf die israelische Siedlung in seiner Heimatstadt Hebron. Probleme gebe es sicherlich mit den Siedlern, aber nicht so viele wie manch andere behaupten würden. Betont wichtig kommt er auf seine Religion zu sprechen - den Islam. Er zeigt mir Bilder von sich vor einer bedeutsamen Höhle in Amman. Er selber mache aber keinen Unterschied zwischen Menschen nur aufgrund ihres Glaubens. Als ich dann erwähne, dass ich für die katholische Kirche arbeite, wird er dennoch ganz ruhig. Vermutlich hat es ihm gutgetan, etwas von sich zu erzählen, Bilder zu zeigen. Sein Englisch war außerdem erstaunlich gut. Von mir selbst wollte er nicht viel wissen und ich selber war – eingequetscht mit meinem Wanderrucksack – auch nicht sonderlich in mitteilsamer Laune. Der Platz vor der Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt ist ungewöhnlich hell. Durch den Sandstein wird die Sonne quasi direkt zurückgeworfen, was einen klaren Blick auf die Umgebung erlaubt. Als ich nun vor dem Eingang zur Klagemauer stand, war ich mir unsicher, ob ich als nicht-Jude und einfacher Tourist überhaupt Zutritt habe. Medial ist dieser Ort nämlich sehr aufgeladen: Bilder von US-Präsidenten oder anderen Politikerinnen und Politikern, die andächtig und demütig die Mauer berühren, sind weltbekannt. Ebenso jene von schwungvoll betenden Juden in ihren Gewändern. Nun wagte ich mich also doch vor, weil sich auch niemand richtig für mich zu interessieren schien. Mit einer Kippa der Western Wall Foundation auf dem Kopf näherte ich mich der Klagemauer, diesem so bedeutsamen religiösen Ort. Als meine rechte Hand den warmen Stein der Mauer berührte, hielt ich für einen Moment inne und schloss die Augen.
Der Weg zum AEI führt mich morgens an der Mauer im nördlichen Bethlehem entlang. Viele Künstlerinnen und Künstler – unter ihnen auch der berühmte Banksy – haben sich mit Karikaturen und anderen Graffitis dort verewigt. Jedes Mal beobachte ich, wie große Reisebusse aus Israel dort halten und Touristen aus der ganzen Welt aussteigen. Eifrig werden viele Fotos gemacht, während der Guide die Szenerie mit Informationen unterfüttert. Wenn kein Stopp bei einem Restaurant eingeplant ist, geht es dann nach wenigen Minuten weiter – entweder zur Geburtskirche oder wieder zurück nach Israel.
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May 2023
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